Umweltpolitik zu radikal oder zu wenig ambitioniert? – Leistungskurs Sozialkunde diskutiert mit EU-Abgeordneten Schneider und Paulus

„Ist die Europäische Union in ihrer Umweltpolitik zu radikal?“, fragt Dennis Hodzic. Der Zwölftklässler sitzt an seinem Laptop und wartet gespannt auf die Antwort von zwei Abgeordneten des EU-Parlaments, die interessiert in die Kamera ihrer heimischen Rechner blicken und klare Auskünfte geben: „Politik sollte nie radikal, sondern realistisch sein, da wir andernfalls Arbeitsplätze kaputtmachen. Wir müssen die Menschen mitnehmen, da viele Angst um ihre Stelle haben“, sagt die CDU-Abgeordnete Christine Schneider. Hingegen unterstreicht Jutta Paulus von den Grünen, dass wir die Lebensgrundlagen bewahren müssten und diesbezüglich nicht radikal genug sein könnten. Es werde ein schwerer Weg. Sehr viele Bereiche müssten grundlegend transformiert werden. Sie sei sehr froh, dass nun fast alle verstanden hätten, dass es keinen Weg zurück gebe. In Verbrennungsmotoren könne nicht weiter investiert werden.

Aber nicht nur die großen Unterschiede bezüglich der Radikalität in der Umweltpolitik bereicherten am 18. Dezember 2020 die Videokonferenz des Leistungskurs Sozialkunde (MSS 12) am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium Germersheim mit den beiden EU-Parlamentarierinnen, sondern auch zahlreiche weitere Debattenpunkte der dreizehn Schülerinnen und Schüler, die durch viele Fragen von Zwölfklässler*innen des Max-Slevogt-Gymnasiums Landau ergänzt wurden, womit das Goethe-Gymnasium abermals seine Kooperation mit anderen Schulen stärkt.

Diskussionleiter Jörg Saalbach, der Vorsitzende der Europa-Union Südpfalz, einer überparteilichen Organisation, die sich als Förderer eines vereinten Europas versteht, hob hervor, dass er sich freue, auch in Corona-Zeiten mit zwei vom Land Rheinland-Pfalz ausgezeichneten Europaschulen zuammenzuarbeiten.

Eingeleitet wurde die Diskussion durch einen Dokumentationsfilm des Politologen Ingo Espenschied, der mit seinem Format „Doku live“ auf die Ereignisse des politischen Einigungsprozesses in Europa von den Anfängen bis in die Gegenwart einging. Vor allem der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer, der fanzösische Außenminister Robert Schuman und der französische Unternehmer Jean Monnet standen hier als Gründerväter der gemeinsamen europäischen Politik im Vordergrund.

Fabienne Rieder erkundigte sich, ob sich die Stimmung im EU-Parlament seit der Corona-Pandemie verändert habe. Christine Schneider betonte, dass sich die Arbeitsbedingungen verändert hätten und nun Homeoffice und Flurgespräche im Vordergrund stünden. Man habe sich mit dem Modus zurechtgefunden. Das Digitale sei jetzt besser nutzbar und dies solle nach der Pandemie auch anhalten. Zudem sei bislang zu sehr nationalstaatlich gedacht worden. Nun gelinge gemeinsames Denken sowie die Erforschung und Beschaffung von Impfstoffen besser.

Florian Weis hinterfragte das Schließen von Gaststätten trotz funktionierender Hygienekonzepte, woraufhin die langjährige CDU-Landtagsabgeordnete einräumte, sie sei anfangs auch skeptisch gewesen, da Ansteckungen eher im privaten Bereich zu verzeichnen gewesen seien. Jetzt sei der eingeschlagene Weg jeoch gut. Man habe eher von Anfang an auf eine komplette Schließung setzen sollen.

Katharina Kirchner wollte von Jutta Paulus wissen, ob der Umweltschutz nach der Corona-Pandemie nun wieder als „Luxus“ betrachtet werden könnte. Die Grünen-Politikerin antwortete, dass laut Umfragen in vielen EU-Mitgliedsstaaten der Umweltschutz als „genauso wichtig“ empfunden werde wie vor Covid 19. Der Mensch dürfe der Natur nicht immer weiter auf die Pelle rücken.  Luftverschmutzung und Feinstaub spielten hinsichtlich der Sterblichkeit nach Corona-Infektionen eine erhebliche Rolle.

Paul Wagner tippt das Thema „Vorsorge vor weiteren Pandemien“ an, da Covid 19 ja sicherlich nicht die letzte ihrer Art sei. Hier unterstrich die in Landau geborene Christdemokratin, man müsse aus jeder Pandemie lernen und sich über die Forschungsergebnisse austauschen. Die Politik könne das Problem jedoch nicht allein lösen, sondern nur Rahmenbedingungen setzen. Jeder Einzelne müsse beitragen. Die ehemalige Landesvorsitzende der Grünen erklärte, die Lieferengpässe seien akut, doch würden neue Institutionen gegründet, sodass zukünftig sehr viel mehr Koordination möglich sei. Besser wäre jedoch größere Kooperation gewesen, was aber schwierig gewesen sei, da die Sozialsysteme der EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich seien und die Gesundheitspolitik hiervon abhängig sei. Das Problem sei jetzt erkannt worden und es gebe nun viel mehr Geld.

Jonas Huber äußerte die Sorge, dass durch die Ausweitung von Bio-Siegeln in der Landwirtschaft zu wenige Lebensmittel zur Verfügung stehen könnten. Christine Schneider pflichtete bei, ohne Pflanzenschutzmittel werde es nicht gehen. Ökologische und konventionelle Landwirtschaft dürften nicht gegeneinader ausgespielt werden. Jutta Paulus, Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, gestand zu, dass eine Koexistenz von traditioneller und ökologischer Landwirtschaft gewährleistet sein müsse, dass aber mehr Bio möglich sei und zu viele Landwirtschftsflächen der Ernährung von Tieren dienten. Die Forderung nach weniger Bio sei nicht zu Ende gedacht. Das Ausmaß des eigenen Fleischkonsums müsse auch aus gesundheitlichen Gründen überdacht werden. Der Fleischpreis sei nicht ehrlich und habe zusätzliche Folgekosten.

Alec Dauderts Frage, ob mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden in der Klimapolitik nun vieles besser werde, beantwortete Christine Schneider damit, dass die Erleichterung über die Abwahl Donald Trumps sehr groß sei und auch in Zukunft gelte, dass Europa das Klima nicht alleine retten könne.

Victor Kusterer bat um Auskunft, ob sehr nationalistisch agierende Regierungen wie jene in Ungarn von einer klimafreundlichen EU-Politik überzeugt werden könnten. Schneider referierte die Beschlüsse, auf die man sich bis 2030 und 2050 geeinigt habe. Polen und Ungarn müssten überzeugt werden, während Paulus forderte, der Demokratieabbau müsse nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in Slowenien verhindert und der Rechtsstaat bewahrt werden.

Nach siebzig Minuten intensiver Diskussion kann das Goethe-Gymnasium auf eine sehr gelungene Veranstaltung zurückblicken. Bereits im April und Juni hatte der Leistungskurs Sozialkunde mit den südpfälzischen Bundestagsabgeordneten Thomas Gebhart (CDU) und Thomas Hitschler (SPD) Videokonferenzen abgehalten, was durch die Gesprächsrunde mit Christine Schneider und Jutta Paulus nun ideal ergänzt wurde.

Dirk Wippert

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