„'Ich habe jahrelang das deutsche Volk bestohlen!', steht auf dem Schild, das Otto Mohr 1933 auf dem Königsplatz tragen musste“, erzählt Hans-Jürgen Kremer und schaut in die Richtung der zahlreich erschienenen Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Bürgerinnen und Bürger aus Germersheim und Umgebung. Der Historiker berichtet detailgetreu von den Erniedrigungen und Schmähungen, die der 37-jährige Jude in Germersheim ertragen musste.
Aber nicht nur das Schicksal Otto Mohrs erwähnte der Schriftsteller aus Hagenbach am 23. Mai 2022 beim ersten Vortrag im Rahmen des Goethe-Forums am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium Germersheim seit Beginn der Corona-Pandemie, sondern auch jenes von zahlreichen weiteren Jüdinnen und Juden während der nationalsozialistischen Zeit in Germersheim.
Hierbei trug der studierte Germanist, Philosoph und Historiker in Anwesenheit von Bürgermeister Marcus Schaile und des Kreisbeigeordneten Christoph Buttweiler aus Passagen seines im April 2022 von der Stadt Germersheim veröffentlichten Buchs „Exodus, Vertreibung und Shoah. Vom Leben und Sterben der Juden aus Germersheim 1933/1945“ vor und beeindruckte hierbei vor allem mit Tabellen, Statistiken und Fotos aus dem Kaiserreich, der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Zeit in Germersheim.
Im Anschluss an den zweistündigen Vortrag beantwortete Kremer zahlreiche Fragen aus dem interessierten Publikum. Dr. Christoph Beyerlein-Buchner, der Vorsitzende des Freundeskreises des Goethe-Gymnasiums, welcher das Goethe-Forum initiiert hat und finanziert, fragte, wie Kremer sich für diese gigantische Leistung habe motivieren können und was ihm dafür die Kraft gegeben habe. Kremer betonte, Historiker seien neugierige Menschen und besäßen einen kriminalistischen Antrieb.
Deutschlehrerin Julia Fritsche, welche zusammen mit dem Freundeskreis des Gymnasiums das Goethe-Forum 2015 ins Leben gerufen hatte und seitdem zehn interessante und abwechslungsreiche Veranstaltungen moderieren durfte, erinnerte an den Schriftsteller Paul Celan, der lebenslang unter der Deportation seiner Eltern ins Konzentrationslager litt. Sie dankte der Fachschaft Geschichte dafür, die erste Stolpersteinverlegung in Germersheim im Februar 2022 durch Gunther Demnig mit ihren Schülerinnen und Schülern begleitet, Hans-Jürgen Kremer ans GGG geholt und mit ihrem Beitrag zur Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler beigetragen zu haben.
Dr. Michael Stadelmaier zitierte den Universalgelehrten Erasmus von Rotterdam und seinen Aufruf „Ad fontes“. Hans-Jürgen Kremer sei tatsächlich zu den Germersheimer Quellen vorgedrungen.
Im musikalischen Rahmenprogramm überzeugten die „Jugend musiziert“-Preisträgerinnen und -träger Lotte Dotzer und Claudius Hammer (beide MSS 12) mit der Oboe und am Klavier mit Georg Friedrich Händels Sonate in C-Moll.
Schulleiterin Ariane Ball bedankte sich bei Hans-Jürgen Kremer herzlich mit einem Buch- und Weingeschenk.
Das Goethe-Gymnasium kann auf einen detaillierten Vortrag über den unrühmlichen Teil der Germersheimer Stadtgeschichte zurückblicken.
Dirk Wippert