„Befürchten Sie, da der Rundfunkbeitrag nicht erhöht wurde, auch Kürzungen in Ihrer Rechtsredaktion?“, will Marla Wessa wissen. Die Schülerin des Leistungskurses Sozialkunde blickt gespannt nach vorne Richtung digitaler Tafel. Dort steht Frank Bräutigam und antwortet: „Wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind nicht so sehr von Werbung abhängig. Die Erhöhung hätte ich für richtig gehalten. Wenn, dann sollte man besser bei Soaps und Krimis kürzen! Gleichzeitig muss bedacht werden, ein Programm für alle zu gestalten! Aufgrund der Inflation steht nun weniger Geld zur Verfügung. Bislang hat das aber keine Auswirkung auf die Rechtsredaktion. Auch das Programm von RTL ist gut, aber RTL hat keine Rechtsredaktion, weil man damit keine Werbegelder generieren kann.“
Die 31 Schülerinnen und Schüler des Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasiums Germersheim sind fasziniert: Der Leiter der SWR-Rechtsredaktion, der in etwa 150 Beiträgen im Jahr die Rechtslage sowie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs einordnet und damit 10 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht, ist im Klassenzimmer genauso, wie man ihn aus der Tagesschau kennt: ruhig und sachlich, gleichzeitig sehr menschlich und nicht abgehoben.
Doch nicht nur die Frage von Marla Wessa stand am 16. Januar 2025 im Vordergrund, sondern auch die vielen Informationen, mit denen der ARD-Rechtsexperte die Elftklässlerinnen und Elftklässler aus den Leistungskursen Geschichte und Sozialkunde begeistern konnte.
„Zwei Stunden!“, antwortete der Journalist auf die Frage von Matthis Dreyer, wie lange denn die Bearbeitungszeit für einen zweiminütigen Beitrag in der Tagesschau dauert. Die ausführliche Vorbereitungszeit allerdings sei hierin nicht enthalten. Frank Bräutigam erläuterte, dass er in seinen Beiträgen verschiedene Bausteine zusammensetze: O-Töne von Klagenden und Beklagten, Ausschnitte des Urteils im Gericht sowie einen abrundenden Aufsager, in dem er selbst zu sehen sei. Dies erklärte er anhand eines Videos, das die Klage gegen VW nach dem Abgasskandal thematisierte. Hieraufhin hakte Laetitia Schwalbe nach, ob der Aufsager auch vor einem Green Screen möglich sei. Dies bejahte Bräutigam, unterstrich aber, Präferenz sei immer, am Abend nochmals vor das Gerichtsgebäude zu gehen und dort mehr zu bieten als ein unbewegtes Hintergrundbild.
Auf die Frage von Mariia Kulchak, wie er juristisch auf dem Laufenden bleibe, verwies der 49-jährige Karlsruher auf das Online-Rechtsmagazin Legal Tribune Online. Außerdem müsse er lesen, lesen, lesen und sich in neue rechtliche Themen hineindenken. Als nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Forderung aufkam, Wladimir Putin solle vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, habe er sich erst einmal gefragt, ob dies rechtlich möglich ist. Er könne auch nicht alles auswendig, aber er wisse, wo er nachschauen muss.
Jassin Popalzai fragte, wer denn angesichts nur 15 Minuten Sendezeit auswähle, ob es ein Beitrag von Frank Bräutigam in die Tagesschau schaffe. Der Gerichtsberichterstatter erklärte, dass es einen Chef vom Dienst gebe, der diesbezüglich die Entscheidung treffe. Er selbst sei Zulieferer, der anzeige, dass er einen interessanten Beitrag liefern könne. In fast allen Fällen werde sein Bericht auch ausgewählt. Nur selten denke er: „Ich muss da rein! Ihr habt falsch entschieden!“ In diesem Fall gebe es aber mittlerweile auch andere Ausspielwege: den Online-Auftritt der Tagesschau oder die Formate bei Twitch und Instagram.
Helene Menzer erkundigte sich nach dem persönlichen Berufsweg des Fernsehjournalisten. Tatsächlich sei sein erster Wunsch gewesen Fußballreporter zu werden, Journalist jedenfalls. Dann habe er häufig den Spiegel gelesen und sei dadurch auf die Idee gekommen, Recht könnte spannend sein. Während seines Jurastudiums in Freiburg habe er dann in den Semesterferien begonnen für die Aachener Zeitung zu arbeiten. Dort habe er über Volksmusikfeste und Kaninchenzüchtervereine geschrieben und bemerkt: „Das macht mir Spaß!“ In der Folge sei er zu der in Freiburg ansässigen Badischen Zeitung gegangen. Dies habe ihm viel Freude bereitet. Die Schülerinnen und Schüler rief er dazu auf, alles zu versuchen und ihre Träume zu leben. Freude sei im Beruf das wichtigste.
Auf Finjas Schwarz´ Frage, ob er für seine Meinungsbeiträge in den Tagesthemen schon einmal heftige Kritik habe einstecken müssen, entgegnete der Volljurist, ganz harte Vorfälle habe es bislang nicht gegeben. Bezüglich seiner Einordnung hinsichtlich einer Impfpflicht habe er aber sehr große Beleidigungen erfahren.
Ob er seine journalistische Tätigkeit angesichts seiner sehr hohen Glaubwürdigkeit mit einer Parteimitgliedschaft vereinbar halte, beantwortete der im nordrhein-westfälischen Mettmann geborene Redaktionsleiter damit, dass dies grundsätzlich möglich sein müsse, er selbst aber nicht parteipolitisch organisiert sei. Er würde dies aber keinesfalls in der Öffentlichkeit mitteilen, sondern würde dies privat halten. Auch nehme er keine Einladungen zu Veranstaltungen von Parteien oder parteinahen Stiftungen an, wenn diese ihn anfragten.
Matthis Dreyer wollte wissen, ob in der SWR-Rechtsredaktion genügend an Jugendliche gedacht sei, worauf der Moderator antwortete, dass einfach formuliert werden müsse, Verben statt Substantivierungen und keine Fremdwörter benutzt werden sollten, um Jugendliche besser an komplexe Sachverhalte heranführen zu können.
Die Erdkundelehrerin Eva Render nahm Bräutigams Ausführungen zu seinen Live-Schalten anlässlich des Auseinanderbrechens der Ampelregierung zum Anlass für ihre Frage, ob bei den spontanen Gesprächen alles frei formuliert werde. Dies bejahte Bräutigam und teilte mit, dass er den für die Nachrichtensprecherinnen und -sprecher üblichen Teleprompter nur in sehr wenigen Situationen in Anspruch nehme, beispielsweise bei Meinungsbeiträgen in den Tagesthemen.
Mariia Kulchak wunderte sich, ob Bräutigam immer erreichbar sei und immer darauf eingestellt sei, arbeiten zu müssen, wenn etwas Schlimmes passiere. Bräutigam räumte ein, dass er am Abend des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkts bereits gemütlich beim Weihnachtsfeuer mit seinen Nachbarn gesessen habe. Die Situation habe es aber erforderlich gemacht, dass er ins Studio eilen musste, um in den Tagesthemen einordnen zu können, welche Möglichkeiten sich nun für den Generalbundesanwalt ergeben könnten.
Nach 90 Minuten voller Informationen und äußerst spannenden Ausführungen waren alle Beteiligten total beeindruckt. Das Goethe-Gymnasium bedankt sich bei Frank Bräutigam für eine sehr gelungene Veranstaltung.
Dirk Wippert