„Das ist unser Zuhause, Rudolf!“, sagt Sandra Hüller, schaut Christian Friedel flehend an und weist in ihrer eigenen Art in Richtung des Hauses, das unmittelbar an die Außenmauer des Konzentrationslagers Auschwitz grenzt. „Wir leben hier so, wie wir es uns immer erträumt haben seit wir siebzehn sind, besser als wir es uns erträumt haben. Raus aus der Stadt; wir haben alles, was wir wollen, direkt vor unserer Haustür. Unsere Kinder sind gesund, kräftig. Es ist so, wie der Führer gesagt hat, wie wir leben sollen, in den Osten vordringen, Lebensraum – das ist unser Lebensraum!“
Sandra Hüller agiert, wie sie auch aus anderen großartigen Filmen wie „Toni Erdmann“ bekannt ist: authentisch, kein edles Schreiten, sondern bewusst ein bisschen plump, eiskalt und grauenvoll, wenn ihr etwas missfällt. Hier spielt sie Hedwig Höß, die Frau des Lagerkommandanten Rudolf Höß, grandios verkörpert von Christian Friedel, der damit nach Filmen wie „Elser“ und Serien wie „Babylon Berlin“ erneut eine Meisterleistung abliefert: ein liebevoller Vater, der seinen Töchtern bis tief in die Nacht vorliest, ein geschickter Organisator des größten Verbrechens, das es jemals auf Erden gegeben hat.
Die 31 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 11 am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium Germersheim sind geschockt: Dieser Film ist eine Zumutung. Hedwig Höß erklärt ihrer Mutter, wie schön es im Garten sei und dass man die Mauer zum Lager doch auch begrünen lassen könnte. Hier spielen ihre Kinder und planschen im Pool. Die Dahlien und Sonnenblumen sprießen, der Kohlrabi wächst und nur einige Meter weiter hinter der Mauer sterben Menschen, aber man sieht sie nicht, man hört sie nur, 105 Minuten Hintergrundgeräusche: Anweisungen, Schreie, Schüsse.
Doch nicht nur das in den Kategorien „bester internationaler Film“ und „bester Ton“ mit Oscars prämierte Bravourstück von Jonathan Glazer faszinierte die Leistungskurse Geschichte und Sozialkunde am 25. November 2024 im Roxy-Kino Neustadt, sondern auch die sich anschließende Diskussion im Rahmen der vom Land Rheinland-Pfalz veranstalteten Schulkinowochen. Hierbei beantwortete Jan Wiese von der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Neustadt sehr kompetent die Fragen der 15- bis 18-Jährigen.
Hierbei wollte Jassin Popalzai wissen, weshalb der Film nur das Diesseits der Mauer und damit fast ausschließlich Täterinnen und Täter zeige, nicht aber die Opfer. Der Gedenkstättenmitarbeiter sah in der Auswahl der Perspektive die große Stärke des Films und hob hervor, dass dadurch auch nicht zwischen verschiedenen Gruppen der Diskriminierten unterschieden werden musste, während sich andere Filme beispielsweise auf Jüdinnen und Juden oder politische Gefangene konzentrierten.
Jan Wiese ergänzte die zahlreichen Fragen mit vielen Hintergründen zur Vita der Familie Höß und bewirkte, dass die Jugendlichen noch länger über „The Zone of Interest“ nachdenken werden, als sie es ohnehin getan hätten. Das Goethe-Gymnasium bedankt sich beim Land Rheinland-Pfalz und bei der Gedenkstätte Neustadt für die Möglichkeit den wahrscheinlich beeindruckendsten Film des Jahres 2024 inklusive Diskussion zu erleben.
Dirk Wippert