„Eine ganz normale Nacht in Wien", singt Henriette Blumenau oder doch Michael Wanda? Die Worte, die vom Sänger der angesagten Wiener Band „Wanda“ in den Mund der „Anezka“-Darstellerin gelegt werden, könnten nicht passender sein. Das, was der Trafikantenlehrling Franz Huchel 1937 auf dem weltberühmten Prater mit der böhmischen Opportunistin erlebt, spiegelt nicht nur eine realistische Begegnung eines Siebzehnjährigen mit einer Zwanzigjährigen in der Zeit vor dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Dritte Reich wider, sondern könnte genauso gut das Flirten zweier Teenager oder junger Erwachsener auf einem heutigen großen Jahrmarkt abbilden.
Dem Theater Heidelberg gelang es am 5. Oktober 2023 ganz hervorragend diese Anziehungskraft der österreichischen Hauptstadt auf die Bühne zu bringen. Nicht nur Henriette Blumenau in der Rolle der tschechischen Haushaltshilfe und Tänzerin, sondern auch Simon Mazouri als verliebter Auszubildender faszinierte die 17 Schülerinnen und Schüler des Grundkurs Deutsch, welche sich zuvor im Unterricht akribisch mit dem auch großartig verfilmten „Der Trafikant“ von Robert Seethaler befasst hatten.
In der zweistündigen Aufführung wurden die Siebzehn- bis Neunzehnjährigen aus der Jahrgangsstufe 13 zudem durch Roland Bayer als „Sigmund Freud“ begeistert. Dieser berät den jungen Franz Huchel in seinem Prozess des Erwachsenwerdens. Besonders beeindruckte auch Hans Fleischmann als Schreib- und Tabakwarenhändler „Otto Trsnjek“, der aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner Abstammung von der Gestapo verhaftet wird und nicht mehr in seine Trafik zurückkehrt. Katharina Quast amüsierte die Zuschauerinnen und Zuschauer als Mutter des aus Oberösterreich stammenden Protagonisten, der er in zahlreichen Postkarten und Briefen seine Probleme mitteilt und die dazu beiträgt, dass ihr Sohn am Ende ein großes Zeichen gegen den Nationalsozialismus setzen kann.
Dirk Wippert