Thomas Gebhart steht empört in der prall gefüllten Aula des Goethe-Gymnasiums und weist die Behauptung seines Vorredners schroff zurück. Es tue ihm weh mitanhören zu müssen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Briten aus der Europäische Union getrieben habe. Der Brexit sei ein großer Verlust für die EU. Zudem habe er selbst einmal vom studentischen EU-Austauschprogramm Erasmus profitiert und hierbei das Vereinigte Königreich und seine Menschen liebgewonnen. Den Briten derart einfache Überlegungen zu unterstellen, sei schlichtweg falsch.
Für seine klare Positionierung erntet Gebhart, welcher den Wahlkreis Südpfalz als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter seit 2009 vertritt und der CDU angehört, einen großen Applaus von etwa 110 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 9, 10 und 11 sowie von den zahlreich erschienenen interessierten Lehrerinnen und Lehrern. Auch fünf weitere Politiker, die anlässlich des Europatags am 9. Mai 2018 ins Goethe-Gymnasium gekommen sind, nicken zustimmend: Thomas Hitschler (seit 2013 Bundestagsabgeordneter der SPD), Mario Brandenburg (seit 2017 Bundestagsabgeordneter der FDP), Tobias Lindner (seit 2011 Bundestagsabgeordneter der Grünen), Katrin Rehak-Nitsche (seit 2018 Landtagsabgeordnete der SPD) und Sebastian Frech (2013 Direktkandidat für die Linke im Wahlkreis Südpfalz) unterstützen Gebharts Antwort auf die Ausführungen des AfD-Landtagsabgeordneten Matthias Joa.
Zuvor hatte Luca Lanfermann (Klasse 10b) die Frage gestellt, ob die Europäische Union zukünftig einen eigenen Finanzminister haben sollte, was Joa als komplett falsch erachtete, da den Deutschen dadurch Geld weggenommen werde und die Bundeskanzlerin ja bereits die Briten zum Ausstieg aus der EU veranlasst habe.
Zu der bereits zum vierten Mal durchgeführten Veranstaltung am Europatag, den die Europäische Union seit 1985 feiert, hatte Schulleiterin Ariane Ball die Spitzenpolitiker des Wahlkreises und das Publikum herzlich begrüßt und mahnte in ihren Einführungsworten, dass man trotz aller Missstände unbedingt mit Europa weitermachen und hierbei im ständigen Diskurs bleiben müsse. Durch die neunzigminütige Diskussion leitete anschließend Sozialkundelehrerin und Organisatorin Ann-Christine Gahn, welche zunächst die Politiker mit einer kleinen Präsentation vorstellte und hiernach zehn Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gab, ihre Fragen an die Volksvertreter zu richten. Zudem nutzten einige Schüler und Lehrer die Möglichkeit von Kurzinterventionen, was zur Lebendigkeit und Interaktion der Veranstaltung beitrug.
Für Aufsehen sorgte zudem die Frage von Wojciech Strauch (Klasse 10b) nach Deutschlands größtem innenpolitischen Problem. Joa sah dieses in einer falsch gesteuerten Migration. Vietnamesen, Spanier und Italiener verursachten keinerlei Schwierigkeiten, wohl aber Zuwanderer aus islamischen Staaten, vor allem in Städten wie Germersheim und Ludwigshafen, wo die Deutschen angesichts eines Migrantenanteils von 75% bereits in die Minderheit geraten seien. Während Gebhart auf eine kluge Steuerung der Migration verwies, riet Frech, keine Angst vor Religionen zu haben und auf den Rechtstaat zu vertrauen. Hitschler und Rehak-Nitsche mahnten, dass Angst keine Lösung sei und stellten die Chancengleichheit sowie Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz in den Vordergrund, während Lindner hervorhob, dass es Deutschland gut gehe, es aber die Voraussetzungen für den Erfolg in zehn Jahren durch die aktuelle Politik der Großen Koalition verpasse, beispielsweise im Bereich der Digitalisierung. Brandenburg unterstrich, dass im Ausland sogar der Begriff der „German Angst“ existiere und man hier gegensteuern müsse. Erdkundelehrerin Antje Höfling-Koppenhöfer intervenierte entrüstet auf Joas Behauptung hinsichtlich des Migrantenanteils in Germersheim und referierte die Statistiken der Stadt, welche eine Quote von 37% ausweist, woraufhin Joa sich rechtfertigte, er habe dies nur auf den Bereich Kindergärten und Grundschulen bezogen.
Darüber hinaus beantworteten die Politiker Fragen von Michael Schnell (MSS 11) zum Zustand der EU im Jahr 2028, von Hannah Gramlich (Klasse 10b), welche wissen wollte, woran es läge, dass in vielen Ländern die anti-europäische Stimmung wächst, und von Yanick Beyer (Klasse 10a), ob die Aufnahme weiterer Länder für die EU schädlich oder nützlich sei. Sophie Hartenstein aus der 10y wollte wissen, ob es eine europäische Leitkultur oder Identität gibt, während Michelle Mildenberger (Klasse 10d) fragte, warum es kein einheitliches Schulsystem in Deutschland gibt. Leonita Berisha aus der 10d erkundigte sich nach der Sinnhaftigkeit von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge, welche in anderen europäischen Ländern Alltag sind, während Lilly Renner aus der 10y wissen wollte, wie die Politiker im Alter von 16 selbst über Politik gedacht hatten. Aissa Laghdas (Klasse 10d) ließ erörtern, weshalb man nicht versuche, Schulen besser digital auszustatten, um mit den europäischen Nachbarn mithalten zu können. Neben den Politikern bereicherten zu dieser Frage auch Paul Hambsch (Klasse 10a) und Jennifer Maier (MSS 11) die Diskussion mit ihren Meinungen.
In ihren Abschlussworten bedankten sich Frau Ball und Frau Gahn bei den Politikern im Namen der Schulgemeinschaft für eine sehr gelungene Diskussion. Im Anschluss standen die Politiker interessierten Schülerinnen und Schülern noch für weitere Fragen an der Aulabühne zur Verfügung.
Dirk Wippert