„Ich freue mich sehr, dass heute mit dem Leistungskurs Geschichte aus Germersheim auch die junge Generation hier erschienen ist!“, hebt Peer Steinbrück hervor. Der ehemalige Bundesfinanzminister steht am Grab des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert auf dem Heidelberger Bergfriedhof und blickt in die schöne Nachmittagssonne. Etwa 60 Leute lauschen dem Ex-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, als er das Leben des prominenten Politikers aus der Weimarer Republik in einer kurzen Ansprache würdigt und erinnert, dass das damalige deutsche Staatsoberhaupt von Rechtsextremen stark gehetzt und in ständige Gerichtsprozesse verwickelt worden ist. Dadurch konnte seine Blinddarmentzündung nicht rechtzeitig behandelt werden, sodass der erst 54-jährige Heidelberger am 28. Februar 1925 verstarb, eine Zäsur für die noch junge Demokratie, die fortan vom Antidemokraten Paul von Hindenburg geführt wurde. Für die heutige Zeit und zukünftig sei es wichtig, dass Kritik an der Regierung oder am politischen Gegner angebracht werden darf. „Eine Verächtlichmachung hingegen darf es nicht geben“, mahnt der SPD-Kanzlerkandidat aus dem Jahr 2013.
Im Anschluss unterstreicht auch Hannelore Kraft in ihrer kurzen Rede zum 99. Todestag des berühmten Sozialdemokraten, die aktuelle Politik müsse besonders dafür kämpfen, dass die anwesenden Schülerinnen und Schüler aus Germersheim noch in Offenheit leben können. Die ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin betont, dass auch mit der Veranstaltung in Erinnerung an Friedrich Ebert hierfür ein großes Signal gesetzt werde.
Durch die Reden der beiden Politikgrößen fühlten sich die acht Schülerinnen und Schüler aus dem Leistungskurs Geschichte (MSS 12) sowie zwei Schülerinnen der Klasse 10y am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium Germersheim direkt angesprochen und mitgenommen. Doch nicht nur die bewegenden Ansprachen auf dem Heidelberger Bergfriedhof faszinierten die 15- bis 19-Jährigen am 28. Februar 2024, sondern auch die kurzweilige Führung durch die Sonderausstellung „Frau Reichspräsident – Louise Ebert 1873-1955“ in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg. Im Wohnhaus der Familie Ebert staunten die Jugendlichen über die beengten Räumlichkeiten und Möglichkeiten und anhand der ebenfalls besuchten Dauerausstellung war es ihnen möglich bereits im Unterricht gelernte Inhalte mittels eindrücklicher Fotos und Collagen zu wiederholen.
Den Höhepunkt des Tages bildete der abendliche 45-minütige Festvortrag Peer Steinbrücks in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. Hierbei nahm der ehemalige Bundestagsabgeordnete – wie gewohnt – kein Blatt vor den Mund. Getreu dem Motto „Kritik statt Verächtlichmachung“ warnte Steinbrück – angelehnt an das sozialdemokratische Urgestein Ferdinand Lassalle – vor einer Beschreibungsangst der Politik. Der 77-Jährige skizzierte essentielle Punkte von guter politischer Führung, die er in der derzeitigen Politik vermisse. Der Diplom-Volkswirt scheute sich nicht, die aktuelle Regierungspolitik zu bemängeln. Das sogenannte Heizungsgesetz, die Kindergrundsicherung und die Legalisierung von Cannabis seien gut gemeint, aber schlecht gemacht und auch Angela Merkel habe zwar „Wir schaffen das!“ gesagt, habe aber den zweiten Satz, etwa „wie wir das schaffen“, vermissen lassen. Den ehemaligen Bundeskanzler Schröder nannte er eine „tragische Figur“.
Das Goethe-Gymnasium Germersheim dankt der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, dass die Schülerinnen und Schüler bei der äußerst beeindruckenden Veranstaltung dabei sein durften und darüber hinaus für die große Gastfreundschaft beim sich anschließenden Buffet, bei dem die Jugendlichen erfahren konnten, dass Politikerinnen und Politiker ganz normale Menschen sind, mit denen man sich zwanglos unterhalten und scherzen kann.
Dirk Wippert