„Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben! Dann würde ich mein Bundestagsmandat zurückgeben!“, verspricht Thomas Gebhart. Der Bundestagsabgeordnete der CDU zeigt sich dankbar für die Frage von Burhan Güneş, um die Position seiner Partei erklären zu können.
„Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass ein Gesetz verabschiedet werden könnte, wenn dafür die Stimmen der AfD nötig sind? Was sagen Sie zur Kritik von Angela Merkel an diesem Abstimmungsverhalten und was dazu, dass deswegen ein Holocaustüberlebender sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben hat? Haben Sie nur aus Karrieregründen zugestimmt?“, fragt der Elftklässler in Bezug auf die Zustimmung des Christdemokraten aus Jockgrim zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ Ende Januar 2025 im Bundestag. Der Schüler aus dem Leistungskurs Sozialkunde blickt vom Mikrofon in der Mitte der Aula nach vorne auf das Podium und ist gespannt auf die Antwort des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Ralf Stüber (FDP), Bernd Schattner (AfD), Thomas Gebhart (CDU), Yildiz Härtel (SPD), Obada Barmou (Bündnis 90 / Die Grünen), Jens Schwaab (Die Linke), Ariane Bügel-Darmoul (BSW)
Obada Barmou von Bündnis 90 / Die Grünen meldet sich zu Wort und weist darauf hin, dass die FDP vorgeschlagen habe, das Gesetz erneut zu beraten. Außerdem sehe er einen Unterschied zwischen Steuerung und Begrenzung der Migration: „Auch die Gewerkschaft der Polizei ist gegen dieses Gesetz, weil dies personell gar nicht umsetzbar ist!“ Zudem sei der Familiennachzug bereits begrenzt.
Nun interveniert auch Jens Schwaab von Die Linke und wirft Thomas Gebhart vor, dass der Gesetzesantrag AfD-Positionen enthalte, woraufhin der 53-jährige CDU-Politiker weiterhin ganz ruhig bleibt und deutlich zu verstehen gibt, dass es vier Stunden Verhandlungen mit SPD, Grünen und FDP gegeben habe. Mit einer Partei, die raus aus dem Euro und aus der NATO wolle und schlecht über Menschen mit Behinderungen rede, werde es keine Zusammenarbeit geben.
An diesem Punkt greift auch Bernd Schattner ein. Der AfD-Bundestagsabgeordnete fragt, wie die CDU mit SPD und Grünen restriktivere Positionen zur Migration umsetzen wolle. In Österreich werde es bald einen „Volkskanzler“ Kickl mit Hilfe der Konservativen geben.
90 Minuten am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium Germersheim, die es am 12. Februar 2025 vollkommen in sich hatten: eine prall gefüllte Aula mit Schülerinnen und Schülern der größtenteils wahlberechtigten Jahrgangsstufen 12 und 13 sowie vielen weiteren Interessierten aus der MSS 11 und Mittelstufenklassen. Sieben Kandidierende auf dem Podium aus allen Parteien, die sich berechtigte Hoffnungen auf einen Einzug in den 21. Deutschen Bundestag nach den Wahlen am 23. Februar machen dürfen: Neben den Bewerbern von CDU, Grünen, Linken und AfD standen Yildiz Härtel von der SPD, Ralf Stüber von der FDP sowie Ariane Bügel-Darmoul als Vertretung der BSW-Kandidatin Sina Listmann auf der Bühne.
Darüber hinaus stärkte das Goethe-Gymnasium Germersheim seine Kooperation mit dem Eduard-Spranger-Gymnasium Landau. Der Leistungskurs Sozialkunde aus der Jahrgangsstufe 13 am ESG hatte die Gelegenheit genutzt und war nach Germersheim gereist. Beide Schulen hatten bereits vor der Europawahl 2024 an einer gemeinsamen Podiumsdiskussion in Landau mit den rheinland-pfälzischen Kandidierenden teilgenommen.
Neben dem Thema „Migration“ hatte sich das Organisationsduo Lea Schanne (MSS 12) und Fabian Bauer (MSS 13) für die Bereiche „soziale Gerechtigkeit“ und „Klimaschutz“ entschieden, nachdem es ihre Mitschülerinnen und Mitschüler darüber demokratisch hatte abstimmen lassen.
Eingeleitet wurde die Veranstaltung mit einer kurzen Abfrage der äußert kompetent agierenden Moderatorinnen Annika Przygode (MSS 12) und Greta Hahn (Klasse 10b). Die sieben Diskutierenden sollten hierbei die Hauptziele ihrer Partei benennen. Ariane Bügel-Darmoul entschied sich hierbei für soziale Gerechtigkeit und Frieden, zwei Punkte, die Jens Schwaab ebenso nannte und durch den Begriff „Abrüstung“ ergänzte. Obada Barmou nannte „ökologisch-ökonomische Transformation für eine bessere Zukunft“, während Yildiz Härtel das Zusammenleben in Deutschland in den Vordergrund rückte. Ralf Stüber optierte für Innovation, Bildung und Wirtschaft, während Thomas Gebhart Entscheidungen forderte, um Probleme zu lösen, damit Wirtschaft laufen könne und den Kindern eine bessere Welt hinterlassen werden könne. Bernd Schattner legte sich darauf fest, den sozialen und wirtschaftlichen Abstieg bremsen zu wollen.
Auf die Frage der Moderatorinnen, wie die Kandidierenden die Aufstiegschancen in der Bildung gewährleisten wollten, setzte Ralf Stüber auf frühkindliche Bildung und ein BAFÖG, das unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt wird. Yildiz Härtel bezeichnete dies als „Gießkanne“. Man müsse genauer investieren. Darüber hinaus müssten Frauen und Männer gleichgestellt werden und Menschen mit Migrationshintergrund dürften nicht benachteiligt werden. Ariane Bügel-Darmoul plädierte dafür niemanden zurückzulassen. Das BSW setze sich für 15 Euro Mindestlohn und soziale Gerechtigkeit im Alter ein.
Kira Tettenborn (MSS 12) erkundigte sich bei Bernd Schattner, ob die AfD als queerfeindlich eingestuft werden könne, woraufhin der Bundestagsabgeordnete ausführte, dass die Parteivorsitzende Alice Weidel offen lesbisch lebe. Queere Menschen sollten ihre Sexualität im Privaten ausleben. In der Öffentlichkeit habe das nichts zu suchen. Auch die Gay Pride halte er für schwierig. Allgemein würden diese Themen überhöht. Yildiz Härtel widersprach hieraufhin vehement und unterstrich, dass heterosexuelle Menschen in der Öffentlichkeit ja auch Hand in Hand gehen könnten. Auch Ralf Stüber schaltete sich ein und forderte Schutzräume. Auch dürfe es keine Schwierigkeiten mehr hinsichtlich der Adoption geben. Die Ampel habe gekämpft und viele Rechte queerer Menschen verbessert. Eine Neudefinition des Familienbildes sei dringend notwendig.
Conrad Schmid, der Schülersprecher des ESG, hielt Bernd Schattner vor, bezüglich queerer Menschen keine liberale Position einzunehmen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete bestätigte, dass er dagegen sei, dass queere Menschen Kinder adoptieren dürfen. „Vater, Mutter, Kind ist eine normale Familie! Unser stellvertretender Parteivorsitzender Kay Gottschalk hat seine Homosexualität in einer Bundestagssitzung offen thematisiert!“ Alle anderen Lebensformen seien kein Problem. Er sei aber nicht dafür, dass mit 14 oder 16 Jahren Operationen hinsichtlich "Transsexualität" durchzuführen. Der bekannte Rechtsextremist Sven Liebich habe sein Geschlecht umschreiben lassen: „Er verarscht die Gesellschaft!“
Sarah Bolz (MSS 12) protestierte heftig und hob hervor, dass Operationen für den Geschlechtswechsel erst ab 18 Jahren durchgeführt werden dürfen. Mit 14 Jahren dürfe nur der Geschlechtseintrag verändert werden. Bernd Schattner entgegnete, dass bereits vorab verabreichte Medikamente irreversible Veränderungen möglich machten.
Bezüglich des Themas „Migration“ erkundigten sich die Moderatorinnen zunächst, was man gegen den Fachkräftemangel tun könne. Jens Schwaab bekräftigte, dass Zuwanderung notwendig sei, damit die Wirtschaft wachsen kann. Thomas Gebhart setzte auf Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. In der Pflege gebe es einen enormen Fachkräftemangel. Eine qualifizierte Zuwanderung sei notwendig. Obada Barmou bezeichnete Arbeitskräfte aus dem Ausland als notwendig. Mit einer AfD in der Regierung werde jedoch niemand nach Deutschland kommen wollen, da diese auf Remigration setze. Yildiz Härtel legte Wert auf gute Kinderbetreuungsplätze. Frauen seien zu oft in der Teilzeitfalle gefangen. Ariane Bügel-Darmoul kritisierte, dass in der Pflege zu wenig detailliertes Wissen existiere. Die Ausbildung dürfe nicht generalisiert werden. Bernd Schattner beklagte eine Abwanderung von qualifizierten Arbeitsplätzen und eine Überakademisierung. Er forderte eine Rückkehr zur Meisterausbildung und eine Entbürokratisierung.
Florian Vorpahl aus der Klasse 10y hakte nach und wollte von Bernd Schattner wissen, wie der Fachkräftemangel bewältigt werden soll, wenn Menschen zurückgeschickt werden. Der AfD-Politiker behauptete, dass keine Fachkräfte nach Deutschland kämen, sondern Menschen ohne qualifizierte Ausbildung. Obada Barmou meldete sich zu Wort: „Falsch! 7000 syrische Ärztinnen und Ärzte sind für Sie keine Fachkräfte? Das ist nicht hinnehmbar!“ Der AfD-Bundestagsabgeordnete konterte: „Der Krieg in Syrien ist vorbei!“ Thomas Gebhart unterstrich, dass gut integrierte Menschen in Deutschland bleiben könnten. Obada Barmou stellte klar, dass Intensivstraftäter hier nichts zu tun hätten. Man müsse aber aufpassen. Die CDU habe eine Debatte angezettelt. Wer sich hier einbringe, müsse bleiben dürfen. Jens Schwaab beklagte, dass es in der Remigrationsdebatte überhaupt nicht um Straftaten gehe. Er sehe einen rassistischen Diskurs und forderte, dass Geflüchtete ab dem ersten Tag eine Arbeitserlaubnis erhalten sollten. Wenn die Familie nachgeholt werden kann, gelinge Integration besser. Obada Barmou hob hervor, dass die Remigrationsdebatte geführt werden müsse, da sie von den Menschen als Problem empfunden werde. Ariane Bügel-Darmoul bemängelte, dass Geflüchtete in eigenen Vierteln wohnten, wie z.B. im Russenviertel in Germersheim. Im Kindergarten müssten Maßnahmen ergriffen werden.
Sohaib Mharchi (10y) eröffnete seine Frage an Thomas Gebhart mit dem Statement, dass die Integration fehlgeschlagen sei. Die Sprache zu erlernen sei schwierig. Die Migrantinnen und Migranten erhielten kaum eine Arbeitserlaubnis, aber jene aus der Ukraine. Der CDU-Bundestagsabgeordnete erläuterte, dass die Hürden abgesenkt worden seien. Er forderte, dass Entscheidungen, ob jemand bleiben oder gehen müsse, viel schneller getroffen werden. Jemand, der bleiben dürfe, müsse sofort Deutsch lernen und Integrationskurse besuchen. Yildiz Härtel warnte davor, Migrantinnen und Migranten aus dem arabischsprachigen Raum schlechter zu stellen. Ursache dafür sei, dass jahrzehntelang ein gutes Einwanderungsgesetz verhindert worden sei. Die Ampelregierung habe auf den Weg gebracht, dass ab dem ersten Tag gearbeitet werden könne. Dies sei aber im Parlament verhindert worden. Ralf Stüber erklärte, dass kein Mensch freiwillig flüchte. Deutschland brauche 250.000 bis 400.000 Menschen im Jahr. Das Punktesystem Kanadas sei ein gutes Einwanderungsrecht. Auch erinnerte er daran, dass das Asylrecht ein Menschenrecht ist.
Die Schülersprecherin Finia Wienert (MSS 12) verknüpfte Migration mit Bürokratie und erbat sich hierzu ein Statement der Politikerinnen und Politiker. Thomas Gebhart nannte dies einen ganz wichtigen Punkt. Auch die Schule leide unter Bürokratie. Insgesamt müsse man schneller und flexibler werden. Ralf Stüber beklagte 90.000 Einzelnormen und Dokumentationspflichten.
Das Thema „Klimawandel“ stieß auf besonders großes Interesse unter den Jugendlichen. Nachdem die Moderatorinnen dieses aufgerufen hatten, meldeten sich sofort mehr als 15 Schülerinnen und Schüler, die aufgrund der begrenzten Zeit nicht alle ihre Frage stellen konnten. Zunächst aber sollten die Diskutierenden darstellen, wie gleichzeitig der Klimaschutz gewährleistet und die Wirtschaft gestärkt werden könnte. Obada Barmou forderte die erneuerbaren Energien auszubauen. Sonne und Wind seien kostenlos und so könnten auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Außerdem müsse man auch auf regionale Netze setzen, um die ökologisch-ökonomische Transformation zu erreichen. Ariane Bügel-Darmoul betrachtete den Klimaschutz als wichtig für unsere Zukunft. Das BSW setze aber auch auf Entwicklung und Forschung. Sozial gesehen sei der Klimaschutz noch viel zu teuer. Ralf Stüber hob hervor, dass alle zum Pariser Klimaschutzabkommen stünden. Die FDP setze auf Innovation statt auf Verbote.
Ole Jerg (MSS 13) hakte nach und wollte von Ralf Stüber wissen, ob er nicht finde, dass die Klimakrise so riesig sei, dass es ohne den Staat nicht gehe und ob die Schuldenbremse nicht im Weg stehe. Der FDP-Politiker beharrte darauf, dass die Schuldenbremse eingehalten werden müsse. Man müsse Sinn und Verstand walten lassen. Obada Barmou wunderte sich darüber, dass das BSW nun auch auf Technologieoffenheit setze, wenn doch Sahra Wagenknecht Gas aus Russland importieren wolle. Das Leben müsse bezahlbar bleiben. Die FDP aber wolle Deutschland kaputtsparen.
Jette Dreyer (MSS 11) wollte erörtert wissen, welche Gefahren nach Donald Trumps Austritt aus dem Klimaschutzabkommen drohten. Jens Schwaab gab zu bedenken, dass auch Argentinien den Vertrag kündigen könnte, dass Klimaschutz aber eine internationale Angelegenheit sei. Thomas Gebhart unterstrich, dass der Klimawandel ein globales Problem sei, weshalb es auch globale Lösungen brauche. Das Klimaabkommen habe er 2015 in Paris mitverhandelt. Klimaschutz und Wirtschaft müssten vereinigt werden.
Moderatorinnen Greta Hahn und Annika Przygode sowie Organisationsduo Lea Schanne und Fabian Bauer
Mazen Hamdan kritisierte die Letzte Generation für ihre Klimaklebeaktionen und wollte wissen, wie man damit umgehen soll. Obada Barmou fand das Verhalten nicht in Ordnung, eine Gefängnisstrafe sei aber zu hart. Wir lebten in einem Rechtsstaat, nicht in einer Diktatur. Yildiz Härtel machte klar, dass in Deutschland die Möglichkeit bestehe demonstrieren zu dürfen. Aber nicht nur die „Klimakleber“ hätten Staus produziert, sondern auch die Bauern, die Anfang 2024 ihre Gülle abgeladen hätten.
Nach 90 Minuten intensiver Diskussion standen fast alle Politikerinnen und Politiker den Schülerinnen und Schülern noch für persönliche Gespräche zur Verfügung. Das Goethe-Gymnasium bedankt sich beim Organisationsduo, bei den Moderatorinnen sowie bei allen Diskutierenden auf dem Podium für eine herausragende und aufschlussreiche Veranstaltung vor der Bundestagswahl 2025.
Dirk Wippert