„Wie frei ist Journalismus wirklich?“, fragt Sena Engin. Die Zwölftklässlerin sitzt in Raum 183 und wartet auf die Antwort von Dominic Hebestreit. Der Journalist des Südwestrundfunks blickt interessiert in die Kamera seines Rechners und gibt eine klare Auskunft: „Auf mich ist niemals Druck ausgeübt worden! Ich bin total frei und kann aus der Erfahrung von bisher neun unterschiedlichen Redaktionen berichten.“ Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt habe einmal ein Interview mit ihm abgebrochen, weil er zu kritisch gefragt habe. Seinen Beitrag habe er damals als MDR-Journalist dennoch veröffentlichen können und es sei auch nicht nachgehakt worden.
Aber nicht nur die Frage bezüglich des freien Journalismus bereicherte am 6. Mai 2021 das Gespräch des Leistungskurs Sozialkunde (MSS 12) am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium Germersheim mit dem live zugeschalteten Redaktionsleiter, sondern auch zahlreiche weitere Debattenpunkte der zwölf Schülerinnen und Schüler anlässlich der im Rahmen der von der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz durchgeführten Veranstaltung „Journalismus macht Schule“.
Jonas Huber erkundigte sich, wie neutral der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei, woraufhin Dominic Hebestreit unterstrich, dass der Staatsvertrag eindeutig eine unabhängige Berichterstattung vorschreibe. Außerdem bestünden Kontrollmechanismen, da es verschiedene Redakteurinnen und Redakteure gebe. Darüber hinaus existiere ein Wettbewerb zwischen den einzelnen ARD-Anstalten. Die Aufsichtsgremien, beim SWR der Rundfunkrat und in Rheinland-Pfalz der Landesrundfunkrat, sorgten zudem für eine große Transparenz. Ziel des Journalismus sei eine umfassende Information. Hierbei dürfe man sich niemals auf nur eine Quelle verlassen.
Paul Wagner wollte wissen, wie sichergestellt werden könne, dass beim vom ARD und ZDF betriebenen Online-Content-Netzwerk Funk politische Meinungsbildung nicht genauso radikal dargestellt werde wie auf anderen Internetplattformen. Hebestreit hob hervor, dass die Freilegung des Nachrichtenkerns immer im Vordergrund stehe, nicht die radikale Aussage. Zudem kooperierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Funk mit Influencern und YouTubern.
Emily Berge hakte nach und ließ sich informieren, wie man im Journalismus radikalen Äußerungen eine nicht zu große Bühne bieten und trotzdem eine kritische Auseinandersetzung gewährleisten könne. Hebestreit betonte, die Journalistinnen und Journalisten müssten stets kritisch prüfen, welche Nachrichten weitergegeben sollten und ob darüber berichtet werden sollte. Lea Schüler kartete abermals nach und erhielt auf ihre Frage, wie oft Artikel durchschnittlich abgelehnt würden, eine klare Antwort: „Nie!“
Nils Altmann fragte, wie groß das Problem von Abwerbeversuchen in der Medienbranche sei und führte hierbei den Wechsel der Sportmoderatorin Lea Wagner vom SWR ins Erste an, um dort zukünftig Skisprungwettbewerbe zu moderieren. Hebestreit erläuterte, dass die berufliche Veränderung völlig normal sei, sich aber nicht jeder umorientieren wolle. Er selbst habe nach dem Studium in Leipzig als Volontär beim Mitteldeutschen Rundfunk gearbeitet. Danach sei er Redakteur bei heute und beim heute-journal gewesen. Nun kümmere er sich beim SWR um das Komponieren von Nachrichten und leite eine Redaktion von SWR 1 Rheinland-Pfalz. Veränderung hänge immer vom individuellen Wunsch ab. Lea Wagner sei innerhalb der ARD gewechselt, Linda Zervakis zu Pro Sieben, Jan Hofer zu RTL.
Fabienne Rieders Frage nach der Belastung der journalistischen Arbeit durch Corona beantwortete Hebestreit mit zwei Entwicklungen. Zwar sei kein direkter Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen möglich. Die digitale Kommunikation sei hierfür kein gleichwertiger Ersatz, da beim informellen Gespräch in Pausen oft sehr gute Ideen entstünden. Aber die Pandemie habe dem SWR einen sich bereits zuvor abzeichnenden technischen Schub verliehen und sei eine große Chance, da der Informationsbedarf steige.
Dennis Hodzic thematisierte die Anzahl der Landesrundfunkanstalten und die Forderung nach möglichen Einsparungen. Dies sei eine politische Frage, entgegnete Hebestreit. Häufig werde eine größere Kooperation des SWR mit dem Saarländischen Rundfunk ins Spiel gebracht.
Sena Engin befragte Dominic Hebestreit nach seiner Meinung zum Journalisten Tilo Jung, der durch seine provozierenden Fragen in der Bundespressekonferenz und sein Internet-Format Jung & naiv große Popularität erreicht hat. Hebestreit räumte ein, dass Jung gute und mutige Fragen stelle, manche aber auch der Selbstdarstellung dienten und daher problematisch seien. Grundsätzlich müsse aber jede Frage erlaubt sein.
Victor Kusterer erkundigte sich, wie die öffentlich-rechtlichen Sender angesichts des eher unterhaltungsorientierten Videokonsums Jüngere mit ihrem Programm noch erreichen könnten. Hebestreit hob heraus, dass der Rundfunkbeitrag von allen gezahlt werden und somit auch alle versorgt werden müssten. Mehr individuell zugeschnittene Angebote für alle Zielgruppen seien notwendig. Die Mediathek biete einiges aus verschiedenen Formaten. Eine hervorragende Idee sei aber das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl vom SWR in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk. Viele Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer bestätigten dieses Angebot bereits mit großer Begeisterung zu nutzen.
Nach neunzigminütiger Diskussion kann das Goethe-Gymnasium Germersheim auf eine sehr gelungene Veranstaltung zurückblicken.
Bereits zuvor hatte der Leistungskurs Sozialkunde seit Beginn der Corona-Pandemie mit zahlreichen Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen digital diskutiert. Im Juni 2020 debattierten die Schülerinnen und Schüler mit Winfried Folz, dem Hauptstadtkorrespondenten der Rheinpfalz, und erfuhren hierbei viel über den „Journalismus in Zeiten von Corona und Fake News“. Der Konstanzer Politikwissenschaftler Marius Busemeyer informierte im März 2021 über seine Arbeit. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Gesundheitsminister Thomas Gebhart (CDU) stand im April 2020 und Januar 2021 gleich zweimal zur Verfügung. Das Videogespräch mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Thomas Hitschler stand im Juni 2020 auf dem Programm, jenes mit dem neuen Landtagsabgeordnete Markus Kropfreiter (SPD) im März 2021. Die EU-Parlamentarierinnen Christine Schneider (CDU) und Jutta Paulus (Grüne) äußerten sich im Dezember 2020 zu ihren Standpunkten.
Durch das Meeting mit dem Journalisten Dominic Hebestreit wurden die digitalen Gesprächsrunden nun ideal ergänzt.
Dirk Wippert